Jubel in Syrien, Seenotrettung auf dem Mittelmeer, Trump in den USA
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Was ist neu?
Jubel über den Sturz des Assad-Regimes in Syrien
Nach über 50 Jahren Schreckensherrschaft ist es Rebellengruppen in Syrien gelungen das Assad-Regime zu stürzen. Weder Assads Soldat*innen, noch seine Verbündeten im Iran oder russische Streitkräfte konnten den Sturz diesmal verhindern. Ob der emanzipative Geist der revolutionären Aufstände von 2011 wieder aufleben kann, wird sich erst zeigen. Heute freuen wir uns erst mal mit den unzähligen befreiten gefangenen, gefolterten, vertrieben und unterdrückten Menschen in Syrien. Es ist gut, dass der Tyrann nicht mehr ist.
Wer sind die zwei Rebellengruppen? Die Hayat Tahrir Al-Sham (HTS) war lange ein Ableger der Al Quaida. Sie gibt sich bisher Mühe, ein positives Bild von sich zu vermitteln. Doch es wäre unkritisch von links über ihren autoritären, reaktionären und islamistischen Charakter hinwegzuschauen. Gleiches gilt für die Syrian National Army (SNA), die ebenfalls alles andere als ein Garant für eine befreite Gesellschaft ist. Die SNA wird von Erdogan finanziert und kontrolliert, um in Syrien eigene Interessen zu verfolgen. Ähnlich wie die EU will Erdogan rasch syrische Geflüchtete nach Syrien ausschaffen. Insbesondere will Erdogan jedoch Rojava angreifen. Für Kurd*innen stellt die SNA eine existentielle Bedrohung dar.
Stimmen behaupten, Assad sei ein Antiimperialist gewesen. Sein Sturz stärke das israelische Apartheidregime und seinen Siedlerkolonialismus. Sicher: Assad war Teil der von den Mullahs dominierten „Achse des Widerstandes“. Durch seinen Sturz verlieren die Mullahs eine wichtige Transportroute, um die verbündete Hisbollah im Libanon zu beliefern und die israelische Armee profitiert davon, um Syrien durch Bombardierungen zu schwächen und die Golanhöhen zu besetzen. Trotzdem: Schematische rigide Analysen aus der Position von Staatschefs bringt den Antiimperialismus nicht weiter. Die Unterstützung von autoritären Regimes macht krasse Unterdrückung und mutigen Widerstand unsichtbar, was das letzte ist, was wir brauchen können.
Die Kraft des nachhaltigen Antiimperialismus kommt von unten her – Streiks, Aktionen, Guerillas sowie von internationalen und antinationalen Bewegungen. Im antiimperialistischen Kampf sind autoritäre Regimes höchstens opportunistische und unsolidarische Partner. So hat das Assad-Regime die eigenen Machtinteressen stets höher gewichtet, als die Unterstützung der Palästinenser*innen. Gleiches gilt auch für die Mullahs und andere.
Die Wurzeln dieses rigiden Antiimperialismus reichen in in die Nachkriegszeit. Nach dem 2. Weltkrieg bildete sich ein kapitalistisches und ein kommunistisches Lager. Rasch setzte eine polarisierende Freund-und-Feind-Spaltung der Welt ein. In beiden Lagern machte sich eine Logik à la „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ breit. Diesen Druck spürten Staaten des Globalen Südens als sie sich dekolonialisierten. Während nationale Befreiungsbewegungen in China, Nordkorea, Nordvietnam und Kuba den kommunistischen Block stärkten, organisierten sich andere als „blockfreie“ Staaten. Um koloniale Konituitäten zu überwinden und umfassende politische und wirtschaftliche Selbstbestimmung zu erlangen, bekämpften auch die jungen Staaten der sogenannt „Dritten Welt“ den Imperialismus und wurden von der antiimperialistischen Bewegung unterstützt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion führten Antiimperialist*innen den Kampf weiter. Zu recht galten die USA und Nationen des Globalen Nordens weiterhin als imperialistisch. Schematisch wurden jedoch Nationen des Globalen Südens ins Lager der Antiimperialisten gezählt. Klassenwidersprüche, patriarchale und sonstige Herrschaftsweisen dieser Staaten erscheinen wenig bis unwichtig. Alles was in diesem Antiimperialismus zählt, ist die Position des jeweiligen Staates im Weltsystem. Jede Kritik an vermeintlich antiimperialiistischen Staaten wird als unerwünscht und unloyal eingestuft. Kritik an Antiimperialist*innen würde immer nur die imperialistische Seite stärken. Das ist wohl zu einfach.
https://newpol.org/understanding-the-rebellion-in-syria-an-interview-with-joseph-daher/https://www.mediapart.fr/journal/politique/091224/entre-l-extreme-droite-francaise-et-le-regime-assad-quinze-ans-de-complaisance
https://newpol.org/the-syrian-revolution-returns-with-a-bang-extraordinary-collapse-of-the-genocidal-regime/
Seenotrettung: Aufgrund von Kriminalisierung und Schikane zieht sich MSF aus dem Mittelmeer zurück
Während Menschen im Mittelmeer ertrinken, zieht sich ein weiteres Rettungsschiff aus der Seenotrettung zurück: Die Hilfsorganisation gab bekannt, dass sie ihr Schiff aus dem Einsatz nehmen wird. Der Grund dafür seien die repressiven Gesetze und das menschenlebenverachtende Vorgehen der italienischen Regierung.
Am 4. Dezember beschloss die italienische Regierung eine Gesetzesänderung, die es noch einfacher macht, Rettungsschiffe zu beschlagnahmen. Bereits zuvor waren die Einschränkungen lebensgefährlich: Rettungsschiffe dürfen nach einer Rettungsaktion nicht zu weiteren Einsätzen übergehen, sondern müssen direkt zum Hafen zurückkehren. Ein erzwungener Umweg, der verhindert, dass weitere Boote in unmittelbarer Nähe gerettet werden können.
Ein Beispiel zeigt, wie die Behörden mit dem Eigentum der Hilfsorganisationen umgehen: Das Rettungsschiff der Organisation Iuventa wurde nach sieben Jahren Beschlagnahmung zurückgegeben, jedoch in einer Verfassung, die es unbrauchbar macht. Ohne Schiff keine geretteten Menschen – die italienischen Behörden sind wohl zufrieden damit.
https://www.migazin.de/2024/12/15/aus-rettungsschiff-eu-staaten-kampf-schleuser/
https://iuventa-crew.org/en/2024/12/12/rescue-ship-destroyed-in-custody-who-takes-responsibility/
https://sea-watch.org/repressionen-gegen-zivile-seenotrettung/
Was nun?
Trump, was nun?
Als Teil der antikolonialen, antirassistischen, antipatriarchalen und abolitionistischen Linken fragen wir uns, was uns nach der zweiten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erwartet. Es wird wohl leider hart werden.
Der zweite Sieg ist deutlicher als der erste. 2016 wurde Trump zum ersten Mal gewählt – damals noch eher per Zufall mit einem hauchdünnen Vorsprung und dank des Wahlsystems der USA. Diesmal gewann er auch in absoluten Wähler*innenzahlen relativ deutlich. Erneut wurde Trump mehrheitlich von einer weissen, kleinbürgerlichen Wähler*innenschaft gewählt. Diesmal stimmten rund 60% aller weissen Wähler*innen für ihn. Trotz seines offenen Sexismus stimmten auch viele Frauen für ihn. Die Reichen und Unternehmer*innen gewann er auch diesmal mit der Aussicht auf niedrigere Steuern. Evangelist*innen unterstützen ihn auch diesmal, weil er z.B. Abtreibungsrechte infrage stellt. Die Waffenfans gewann er auch diesmal, weil er Waffen tragen und nutzen befürwortet.
Trump punktet bei der arbeitenden Klasse und zunehmend bei BIPoC. 2016 verdiente seine Wähler*innenschaft meist mehr als den Durchschnittslohn. Nun wählten ihn auch viele mit niedrigem Einkommen, wobei die ärmsten Stimmberechtigten nach wie vor die Demokratische Partei wählten. Während der Finanzkrise 2008, der COVID-Pandemie und aktuell aufgrund der Inflation gerieten viele Haushalte in eine finanzielle Schieflage. Viele US-Amerikaner*innen sind hoch verschuldet. Viele erlebten einen sozialen Abstieg, noch zahlreicheren droht ein solcher ernsthaft. Diese Sorgen, alles zu verlieren, erhöhen die Nachfrage nach „Sicherheit“. Dies ist wohl auch eine der Haupterklärungen dafür, warum es dem Rassist gelang, auch bei vielen Schwarzen Arbeiter*innen und People of Color zu punkten.
Der Tumpsieg ist Ausdruck der Niederlage der Demokratischen Partei. Die Partei hat sich längst von der Linken und der arbeitenden Klasse verabschiedet. Während Biden noch gewisse soziale Umverteilung, den Ausbau des öffentlichen Dienstes und staatlicher Infrastruktur anstrebte, sprach Harris im Wahlkampf eher von Demokratie. Um im rechten Spektrum Wähler*innen zu gewinnen, griff sie materielle, sogenannte „Bread and Butter“-Themen kaum auf. Die arbeitende Mehrheit stimmte für Trump. Harris verlor viele Stimmen solidarischer Menschen, die z.B. gegen den Genozid an Palästinenser*innen einstehen und von der Biden-Politik im Nahen Osten schockiert sind. Allerdings: Kamala Harris startete spät in den Wahlkampf. Dazu kam, dass sie sich als Schwarze Frau in den weiss-patriarchal dominierten USA gegen einen Ex-Präsidenten durchzusetzen hatte, der keinen Hehl aus seinem Rassismus macht.
Nun drohen Massendeportationen. Ausschaffungen würden Amerika wieder „Great Again“ machen. Mit faschistischen und entmenschlichenden Vorurteilen hetzt Trump im Wahlkampf den Rassismus an. Migrant*innen würden das Wasser vergiften, Haustiere essen u.v.m. Ausschaffungen seien die Antwort auch auf die materiellen Sorgen der übrigen Bevölkerung. Für jede ausgeschaffte Person werde eine Wohnung und ein Job für andere frei. Als eine der ersten Amtshandlungen will Trump 20 Millionen Migrant*innen deportieren, hauptsächlich nach Mexiko.
Ist Trump ein Faschist? Zu dieser Frage besteht kein Konsens. Dies liegt wohl daran, dass der Faschismus schwer zu fassen und auch sehr anpassungsfähig ist. Jede kapitalistische Demokratie läuft grundsätzlich Gefahr – graduell oder durch einen Putsch – faschistisch zu werden. In den USA, die immer schon extrem rassistisch, patriarchal, kolonial und imperialistisch waren, gilt dies besonders. Wenn nun eine Figur wie Trump „Make America Great Again“ sagt und damit nebst Massendeportationen auch Angriffe auf die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegungen und der Linken meint, klingt das stark nach faschistischen Säuberungsaktionen. Bisher thematisiert Trump keine kriegerische Expansion der USA. Er will auch keinen „neuen Menschen“ nach faschistischem Ideal schaffen. Beides Ansätze, die Faschist*innen üblicherweise stark beschäftigten.
Was droht nun? In seiner ersten Präsidentschaft wurde Trump oft durch Parlament oder Gerichte abgebremst. Die Abtreibungsrechte konnte er nicht ganz abschaffen. Die Einwanderung aus muslimischen Staaten konnte er nicht ganz verbieten. Auch konnte er nicht mit scharfer Munition auf die BLM-Bewegung schiessen lassen, obwohl er dies forderte. Heute hat er mehr Macht. Er wurde demokratisch klarer gewählt und ist parlamentarisch besser abgesichert. Er kontrolliert Justiz, Administration und Medien. Er hat die höchsten Richter*innen selbst eingesetzt. Rechte, selbstsüchtige Milliardär*innen, wie Elon Musk, die bisher politisch lobbyierten, macht er zu seinen Minister*innen. Diese Kräfteverhältnisse erlauben es ihm, sein Programm ungebremster umzusetzen. Greifen wir zu den Masken und demaskieren wir Musk, Trump und alle Faschos und patriarchalen Kapitalist*innen. Wenn du bis hier gelesen hast, lade ich dich auf einen Kaffee ein. Mit oder ohne Koffein.
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Analyse zur Dänischen Migrationspolitik
https://www.akweb.de/politik/labore-der-ausgrenzung-daenemarks-anti-migrationspolitik-dient-deutschen-politikern-als-vorbild/
«Die Frage nach der Herkunft ist extrem übergriffig»
Weihnachtszeit ist Apéro-Zeit. Und wo ergibt sich eine bessere Gelegenheit, seinen ausländischen Mitbürger*innen ein wenig auf den Zahn zu fühlen? Chefredaktorin Bina liefert Gründe, dies nicht zu tun.
https://www.babanews.ch/12459-2/
Lektionen in katastrophalen Zeiten
https://revoltmag.org/articles/lektionen-katastrophalen-zeiten/
In die Sackgasse diskutiert
https://www.akweb.de/bewegung/in-die-sackgasse-diskutiert-linke-und-nahostkonflikt-israel-palaestina-rassismus-antisemitismus-frieden-gleichberechtigung/
Extrême centrisme et nouvelle norme oligarchique. Note sur l’élection états-unienne
https://www.contretemps.eu/extreme-centre-etats-unis-trump-biden-harris-election/
Ausschaffungen in die Ukraine
https://www.beobachter.ch/gesetze-recht/migration/zurich-schafft-ukrainer-in-den-krieg-aus-773207