Wochenschau vom

Frontex in Serbien, keine Gerechtigkeit für Mike Ben Peter, Tod auf Italiens Feldern

Was ist neu?

Frankreich: Rassemblement National abgeblockt

In Frankreich und anderswo war die Erleichterung über den Ausgang des zweiten Wahlgangs gross. Der Rassemblement Nation (RN) gelingt es nicht, die Macht zu übernehmen. Der Nouveau Front Populaire gewinnt die Wahl vor Macrons Bündnis und dem RN.

Dass der RN nach seinem erfolgreichen ersten Wahlgang im zweiten keine absolute oder auch nur relative Mehrheit erzielt hat, hängt direkt mit dem den Verzicht linker Kandidat*innen zugunsten von Makronist*innen in vielen Wahlkreisen zusammen.

Das RN-Problem bleibt. Denn trotz der «unheiligen Allianz» erzielte die ultrarechte Partei ihr bestes Ergebnis aller Zeiten. Gewählt wurden 140 RN-Parlamentarier*innen. Im Jahr 2022 waren es 89 und im Jahr 2020 nur acht.

Der Antirassismus bleibt also weit über die Wahlen hinaus entscheidend. Wir müssen verstehen, was den RN für die Menschen interessant macht, um sie mit linken Offerten vom Weg nach rechts abzubringen. Dies gelingt am einfachsten im Alltag. Jede Schule, jeder Arbeitplatz, jede Strasse muss zurückgewonnen werden. Der Übergang oder der Bruch mit den rassistischen Verhältnissen wird ausserhalb von Urnen stattfinden.

https://cerveauxnondisponibles.net/2024/07/08/la-defaite-du-rn-nest-pas-notre-victoire/

Die tödlichste Route in die Festung Europa: weitere 89 Menschen vor Mauretanien ertrunken

167 Menschen begaben sich Anfang Juli auf den Weg zu den kanarischen Inseln. Nach sechs Tagen kenterte das Boot vor der mauretanischen Küste. Mindestens 89 der Menschen an Bord starben, viele weitere bleiben verschollen. Die Küstenwache rettete sie nicht, sondern barg nur ihre toten Körper.

In den ersten fünf Monaten dieses Jahres verloren 5’054 Menschen ihr Leben auf der Flucht von der westafrikanischen Küste nach Europa. Die tagelange Überfahrt zu den kanarischen Inseln bleibt die tödlichste Route auf dem Weg in die Festung Europa. Das Grenzregime ermordet auf der Route 33 Menschen am Tag. Diesen März sicherte die EU Mauretanien 210 Millionen Euro zu, um ihren unmöglichen Kampf gegen Migration zu führen. Statt Bewegungsfreiheit für alle wird es nun noch mehr Tote geben. Seit anfangs 2024 wurden deutlich mehr Todesfälle verzeichnet als in derselben Zeitspanne des letzten Jahres. 

Gedenken wir den Verschollenen und Getöteten, ihren Geliebten und Verwandten und stellen uns den Todespolitiken Europas entgegen.
Wir wollen Fähren statt Frontex und 210 Millionen für Klimaanpassungen, statt Grenzmilitarisierung.

https://www.deutschlandfunk.de/fast-90-migranten-ertrinken-vor-der-kueste-100.html

Was geht ab beim Staat?

Berufungsprozess gegen die 6 Polizisten, die Mike Ben Peter getötet haben

Letzten Montag, Dienstag und Mittwoch standen die 6 Polizisten, die Mike Ben Peter am 28. Februar 2018 in Lausanne getötet haben, wegen fahrlässiger Tötung und neu auch wegen Amtsmissbrauchs vor dem Kantonsgericht in Waadt.

Im Sommer 2023 mussten die 6 Polizisten wegen fahrlässiger Tötung vor dem Bezirksgericht in Lausanne erscheinen, nachdem Staatsanwalt Laurent Maye Anklage erhoben hatte. Bereits dort wurde ihr Freispruch gefordert. Vergangene Woche hatten die 6 Polizisten vor zweiter Instanz, dem Kantonsgericht Waadt, erneut auszusagen. Anwesend waren Bridget (Frau von Mike Ben Peter und Mutter ihrer gemeinsamen drei Kinder), dessen Anwalt Simon Ntah, Mikes Bruder Roger, der Hauptrichter Philippe Colelough mit den Nebenrichterinnen Elisa Masoni und Valérie Jaton. Ebenfalls anwesend waren der Gerichtsschreiber Benjamin Baud, die 6 Polizisten mit je einer*m Anwält*in, Anton Rüsch, ein sogenannter Mister Public (theoretisch die Neutralität in Person, praktisch der 7. Anwalt der Polizisten), sowie an allen drei Prozesstagen fast 50 Zuschauer*innen. Leider befanden sich darunter erstaunlich viele Unterstützer*innen der Cops, doch über zwei Drittel waren Sympatisant*innen von Mike und Aktivist*innen, die mitschrieben, dokumentierten, zeichneten, Öffentlichkeitsarbeit machten, sich besprachen, vor dem Gericht jeden Tag mit Transparenten protestierten und für alle Mittag- sowie Abendessen kochten. 

Am ersten Prozesstag fand endlich die Befragung einer Zeug*in statt, die der Anwalt Simon Ntah schon ewig gefordert hatte, die jedoch bisher stets abgelehnt wurde. Sie sagte zugunsten einer Verurteilung der sechs Polizisten aus, und prompt wurde ihr das Beurteilungvermögen abgesprochen. Am zweiten Tag wurden erneut alle Polizisten durch die Richter*innen und Anwalt Simon Ntah befragt. Die Richter*innen stellten dieses Mal mehr Fragen als beim letzten Mal und bohrten nach, stellten einen Polizisten sogar leicht bloss. Fast so, als wollten die Richter*innen zeigen, dass sie sich diesmal schon auch bemühen, «neutral» zu agieren, damit der Freispruch danach legitimer erscheint. Am dritten Tag folgten dann dicht aufeinander und ziemlich unkommentiert das Plädoyer des Anwalts Simon Ntah, das Plädoyer des Mister Public und die 6 Plädoyers der Anwält*innen der Polizisten. Also 1 Person, die sich für eine Verurteilung ausspricht und anschliessend 7 Personen, die für einen Freispruch sprechen. Kurz gesagt; der Prozess verlief wie zu erwarten. Die Haltung der Polizisten, deren Anwält*innen, der Richter*innen und des Mister Public lautet: Mike Ben Peter wäre auch unabhängig von dieser Kontrolle gestorben und wenn nicht, dann hätten sich die Polizisten nur an ihre polizeilichen Anweisungen gehalten. Und wenn dabei halt mal jemensch stirbt, dann können sie ja nichts dafür.

Doch wer übernimmt Verantwortung dafür, dass immer wieder rassifizierte Personen bei Polizeikontrollen sterben oder stark verletzt werden, wenn es die einzelnen Polizisten nicht tun, durch deren Hände sie sterben? Die Institution der Polizei lässt sich nicht anklagen. Die Verantwortlichkeit für polizeiliches Handeln liegt bei den jewiligen Beamt*innen und der staatlichen Institution, die sie beschäftigt. Dies wäre in Mikes Fall die Stadtverwaltung von Lausanne, genauer gesagt das Polizeidepartment der Stadt Lausanne. Doch um dieses anzuzeigen, muss Anzeige bei ebendemselben Departement erstattet werden. Anzeige erstatten bedeutet: etwas als Wunsch, Meinung oder Einwand äussern, erklären oder hervorbringen. «Liebes Polizeidepartement, wir wünschen, euch anzuzeigen.» Welch eine Grundlage zur Neutralität. 

Vielleicht werden die 6 Polizisten an der Urteilsverkündung überraschenderweise wegen fahrlässiger Tötung und Amtsmissbrauch verurteilt. Am Montag, dem 8. Juli 2024, wissen wir mehr, denn dann findet die Urteilsverkündung vor dem Kantonsgericht in Lausanne statt. Ein Update dazu folgt in den nächsten Ausgaben der Antira Wochenschau.

Ebenfalls findet am 13. Juli 2024 um 13 Uhr eine Demo gegen rassistische Polizeigewalt und ziemlich sicher gegen das Urteil statt. Treffpunkt ist der Bahnhof Lausanne. Organisiert euch, kommt in Banden, lasst uns die Züge füllen für Mike Ben Peter, Lamin Fatty, Nzoy, Hervé Mandundu und viele Weitere und nach Lausanne demonstrieren gehen.

Und sollte es nach dem Bundesgericht, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem internationalen Strafgerichtshof und den diplomatischen sowie politischen Kanälen zu keiner Verurteilung kommen, wird die ganze Leier nochmals abgespult, dann jedoch direkt gegen das Polizeidepartement der Stadt Lausanne!

#NoJusticeNoPeace
#Verantwortungsdiffusion
#StrukturellerRassismus
#Enough!

Abgebildet sind Bridget und Roger. Sie stehen vor dem Kantonsgericht.
Abgebildet ist eine Zeichnung der Aktivist*innen, wie sie vor dem Gerichtsgebäude mit Transparenten protestieren.
Abgebildet ist ein Comic, der während dem zweiten Prozesstag entstand auf Basis eines echten Wortabtausches. Der angeklagte Polizist sagt: «Ich spreche kein Englisch», woraufhin der Hauptrichter erwidert: «Aber das Wort ‹Stop› kennst du?»

Was ist aufgefallen?

Externer Bericht über Basler Polizei: Struktureller Rassismus und Sexismus

Ende Juni wurde ein Bericht über die Basler Polizei veröffentlicht – zum ersten Mal in der Geschichte der Schweizer Polizei war eine externe Untersuchung gestartet worden.

Insgesamt 372 Interviews mit Basler Polizeibeamt*innen wurden von einem Staatsrechtsprofessor von der Uni Basel und einer Polizeidirektorin aus Niedersachsen (D) geführt. Was dabei heraus gekommen ist, ist nicht sonderlich überraschend: Innerhalb des Polizeikorps herrsche eine «Angstkultur», Kritikunfähigkeit und ein autoritärer Führungsstil (Was? Autoritärer Führungsstil in der Polizei? Kaum zu glauben…). Es ist von sexuellen Übergriffen die Rede (teilweise sorgfältig organisiert), von sexistischen Aussagen («Frauen haben in diesem Beruf nichts verloren.») und sexistischen Beleidigungen. Auch Homofeindlichkeit und Rassismus wurden thematisiert. Der Bericht hält weiter fest, dass es keine strukturellen Mechanismen gebe, um Rassismus entgegen zu wirken. Jegliches diskriminierende Verhalten werde als Einzelfall abgetan und die strukturellen Probleme innerhalb des Korps zu «moralischem Versagen der Einzelnen» abgestuft.

Der Bericht empfiehlt im Umgang Sexismus und Rassismus das, was polizeikritische Aktivist*innen bereits seit Jahren vehement fordern: eine unabhängige Meldestelle für Betroffene.

Vielleicht kann ein offizieller Bericht dazu führen, in der Dominanzgesellschaft ein stärkeres Bewusstsein für den institutionalisierten Rassismus und Sexismus in der Schweizer Polizei zu schaffen, doch weiterhin braucht es auch Widerstand auf den Strassen: get angry, get organized!

Was tut Frontex?

Gemeinsam geht’s besser: Frontex-Deal mit Serbien

Neu packt Frontex auch in Serbien mit an oder schaut zu, wie andere die Drecksarbeit machen.

Nach über einem Jahr Verhandlungen steht nun auch in Serbien ein Deal mit der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Jetzt dürfen auch Frontex-Beamt*innen ran und die serbischen Behörden in ihrem illusorischen Kampf gegen Migration unterstützen. Ab jetzt wird gemeinsam zurückgedrängt, verprügelt, eingesperrt, vergewaltigt und umgebracht. Alles, um den erklauten Wohlstand und die imperiale Macht Europas zu sichern. Vielleicht springt sogar eine EU-Mitgliedschaft für Serbien dabei raus. 

Migration kann man nicht aufhalten. Sie wird immer neue Wege durch die Mauern Europas finden. Mit jedem neuen Frontex-Abkommen, das geschlossen, jeder weiteren Million, die von der EU zur Grenzmilitarisierung gesprochen wird, werden die Grenzen Europas brutaler und tödlicher. Die Bewegungen der flüchtenden und migrierenden Menschen werden nichtsdestotrotz gewinnen. Stellen wir uns gemeinsam der Todespolitik entgegen und sorgen dafür, dass Menschen die Grenzen Europas ohne Verletzung, Trauma und Tod überwinden können.

https://www.deutschlandfunk.de/serbien-unterzeichnet-abkommen-zur-zusammenarbeit-mit-eu-grenzschutzagentur-frontex-102.html

Wo gab es Widerstand?

Proteste gegen den AfD-Parteitag

Am vergangenen Wochenende hat in Essen (D) der Parteitag der AfD stattgefunden. Gleichzeitig haben über 70’000 Menschen gegen die Politik der AfD protestiert und den Parteitag gestört. 

Zu den Protesten aufgerufen hat das Aktionsbündnis widersetzen. In der Umgebung des Veranstaltungsorts, der Grugahalle, besetzten Protestierende Strassen und Kreuzungen. An einer Autobahnauffahrt sassen mehrere hundert Menschen auf den Fahrbahnen. Andere blockierten den Zugang zum Parteitagsgelände.

Brutale Polizeieinsätze haben zu zahlreichen Verletzungen von Demonstrierenden geführt, während in den Medien einseitig die verletzen Polizist*innen betont wurden. Das Bündnis schreibt dazu:

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​«​​​​​Wieder einmal behandeln Medien Polizeiaussagen als unabhängige Quelle für ihre Berichterstattung. Ohne Beweise erbringen zu müssen, werden friedliche Demokrat*innen dämonisiert und brutales Vorgehen von Polizist*innen legitimiert. […] Statt sich an uns als Feindbild abzuarbeiten, sollte sich lieber mit den Auswirkungen der rechten Stimmungsmache auseinandergesetzt werden.»

https://widersetzen.com/