Remigration: Ein faschistischer Kampfbegriff

Mit dem Begriff Remigration fordern faschistische Kräfte die massenhafte Ausschaffung von migrantisierten Personen. Nach Deutschland und Österreich gewinnt diese Forderung auch in der Schweiz zunehmend an Aufmerksamkeit. Zuletzt zeigte sich dies anlässlich von rechten Protesten gegen ein geplantes Bundesasylzentrum im Kanton Schwyz. Um die Perspektive Bewegungsfreiheit für alle und den Widerstand gegen Rechts zu stärken, versucht dieser Text eine Einordnung.

Ursprünglich stammt der Begriff Remigration aus der Migrationsforschung und bezeichnet die freiwillige Rückwanderung von Migrant*innen an den Ausgangsort ihrer Migration. So umfasst der wissenschaftliche Begriff zum Beispiel die freiwillige Rückkehr von jüdischen Personen aus dem Exil nach 1945. Seitdem jedoch faschistische Kräfte den Begriff gekapert und umgedeutet haben, wird Remigration als Euphemismus für die Forderung nach massenhaften Ausschaffung migrantisierter Personen verwendet.

Ein faschistischer Kampfbegriff greift um sich

Ende Juli 2023 mobilisierten die identitäre Bewegung in Österreich und faschistische Gruppierungen aus ganz Europa zur «Remigrationsdemo» nach Wien. Hinter einem gelb-schwarzen Transparent mit der Aufschrift «für Remigration» und einem aufgemalten Flugzeug demonstrierten auch die Junge Tat aus der Schweiz und Martin Sellner. Sellner hält innerhalb der faschistischen Szene regelmässig Vorträge zu Remigration und veröffentlichte dazu einschlägige Bücher. Durch ihn und Mobilisierungen wie jene in Wien wurde der faschistische Kampfbegriff allmählich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Immer öfters taucht der Begriff mittlerweile in Zeitungsartikel, auf Transparenten, oder T-Shirts usw. auf.

In Deutschland veröffentlichte das Medienhaus CORRECTIV am 10. Januar 2024 ihre Recherche zu einem Geheimtreffen von hochrangigen AfD-Politiker*innen, Neonazis und Unternehmer*innen in einem Hotel bei Potsdam. Ziel des Treffens im November 2023 war es, sich über konkrete Remigrations-Pläne auszutauschen. In Deutschland empörte sich daraufhin die gesamte etablierte Politik. Landesweit fanden hunderte Demos statt, bis zu 1.5 Millionen Menschen gingen auf die Strasse und Remigration wurde zum Unwort des Jahres gekürt.

All dies verhinderte jedoch nicht, dass in Österreich die ultrarechte FPÖ die Wahlen gewann. Obwohl oder weil sie einen «europäischen Remigrationskommissar» fordert, erhielt die Partei 29,2 Prozent aller Stimmen.

Auch in der Schweiz ist häufiger von Remigration die Rede. Im März 2024 lud die Junge Tat Martin Sellner zu einer Veranstaltung ein. Vor Ort wird er von der Polizei abgeführt und aus dem Kanton Aargau weggewiesen. Die Reaktion der Medien war gross und verhalf Sellner und seiner Lieblingsforderung zu grösserer Aufmerksamkeit, als es die Veranstaltung im aargauischen Tegerfelden je vermocht hätte.

Im April war der Remigration in Arth im Kanton Schwyz auf Transparenten zu lesen, mit denen rechte Teile der Bevölkerung gegen ein geplantes Bundesasylzentrum (BAZ) protestierten. In schwarzen Buchstaben stand da: «Wir fordern Remigration. Nein zum Bundesasylzentrum». Bei den Protesten in Arth mitgemischt hat auch die Junge Tat, die inzwischen eine eigene Kampagne zu Remigration gestartet hat: «Vision Remigration» heissen die entsprechende Webseite und Social-Media-Kanäle. Während der Infoveranstaltung der Gemeinde Arth am 17. April platzierten sie einen Gessler-Hut auf das Pult vor Christine Schraner-Burgener, zuvor verteilten sie Flyer in der gesamten Gemeinde.

Während am 28. September mehrere tausend Menschen an der Demo «Zwischen uns keine Grenzen» in Bern für Bewegungsfreiheit statt Grenzen, Rechte und Würde statt Illegalisierung demonstrierten, rief das Aktionsbündnis Urkantone zur Kundgebung gegen das geplante Bundesasylzentrum in Buosingen auf. Auf ihrem Aufruf-Flyer sind Sätze zu lesen wie: «Wird der Schweizer unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem.» An der Kundgebung in Schwyz vermischten sich dann Freiheitstrychler mit der Junge Tat. Auf Transparenten war erneut zu lesen: «Schweiz zuerst. Remigration jetzt» und «Wir fordern Remigration».

Im Oktober 2024 mobilisiert die Junge Tat erneut zu einem Vortrag von Martin Sellner. Diesmal verhängen die Behörden bereits im Vorfeld eine Einreisesperre gegen Sellner. An der Grenze hindern sie ihn am einreisen, was die faschistischen Kräfte nutzen, um Sellner als Opfer einer Abschiebung zu inszenierten. In Zürich hält Sellner seinen Vortrag zu Remigration dann trotzdem – noch am selben Tag.

Normalisierung durch die Medien

Die Medien spiel(t)en bei der Verbreitung und Normalisierung des Begriffs Remigration eine zentrale Rolle. Das zeigte sich anschaulich daran, dass die Medien das Spiel der Faschist*innen mitmachten, als Martin Sellner verhaftet wurde. Diese Verhaftungen waren keineswegs zufällige Ereignisse, sondern gezielte Inszenierungen für die mediale Aufmerksamkeit. Die Kolumnistin Natascha Strobl schreibt dazu: «Die wichtigste Erkenntnis dieser Aktionen ist, dass sie exklusiv für die mediale Berichterstattung passieren. Weder sind Sellner und die Veranstalter überrascht worden, noch kam es ihnen ungelegen. Vielmehr legten sie es genau darauf an, dass dies so passiert, wie es passiert ist.»

Der Plan der faschistischen Akteur*innen, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen und dadurch Begriffe wie Remigration bekannt zu machen, ging auf. Immer häufiger erschien der Begriff Remigration in den Medien. Anfangs wurde er noch ausführlich problematisiert, später in Anführungszeichen gesetzt, und heute lesen wir Artikel, in denen der Begriff ohne Klammern oder Einordnungen verwendet wird, als wäre er eine gewöhnliche politische Forderung. Die Medien spielen dieses Spiel mit und tragen so zur Normalisierung des faschistischen Kampfbegriffs bei.

Martin Sellner

Im deutschsprachigen Raum kann der Begriff Remigration stark mit der Person Martin Sellner in Verbindung gebracht werden. Sein Buch «Remigration. Ein Vorschlag» ist im März 2024 im Antaios Verlag erschienenen. Wir gehen an dieser Stelle auf Inhalte dieses Buches ein, um zu verstehen, wie Remigration von faschistischen Kräften propagiert und von anderen rechten Kräften teilweise aufgenommen wird.

Sellner geht von einer Verschiedenheit von «Kulturen» aus, die miteinander unverträglich sind. Für eine «Kultur» sei es nur möglich, eine bestimme Anzahl an Personen aus einer anderen «Kultur» zu integrieren. Sellner spricht hier bewusst von Assimilation: Menschen aus einer anderen Kultur müssten also vollkommen in der neuen «Kultur» aufgehen.

Um die Anzahl Personen zu ermitteln, welche eine «Kultur» über einen bestimmten Zeitraum aufnehmen könnte, schlägt Sellner einen Assimilationsmonitor vor: Ein umfassendes Überwachungssystem von Menschen mit Migrationserfahrungen und ihrer «Integration». Aus diesem «Assimilationsmonitor» soll dann entnommen werden können, wie viele Personen von welcher Personengruppe zur Remigration gezwungen werden würden.

Der «Assimilationsmonitor» soll zudem eine Obergrenze für Einwanderung festlegen. Um diese zu bestimmen, müssen nach Sellner drei Faktoren für jede Personengruppe miteinbezogen werden: Die «ökonomische Belastung», die «kriminologische Belastung», die «kulturelle Belastung». In der Ausführung dieser drei Faktoren reiht sich ein rassistisches Argument und rechtes Narrativ an das andere. Migration wird grundsätzlich als eine Bedrohung und Belastung für die Gesellschaft verstanden.

Zur öfters diskutierten Frage, wer alles von den Remigrationsplänen betroffen sein würde, gibt Sellner drei Personengruppen an: asylsuchende Personen, Menschen ohne deutsche (oder schweizer) Staatbürger*innenschaft und Menschen mit der deutschen (oder schweizer) Staatsbürger*innenschaft, die sich jedoch nicht «genügend integriert» hätten.

Begriffe 

Für die folgenden Begriffe gibt es meist keine einheitliche Definition, je nach Kontext können sie unterschiedlich interpretiert werden. Im Folgenden erklären wir, wie wir diese Begriffe verstehen und auf welche Weise sie kritisch betrachtet werden sollten. Dabei ist zu beachten, dass gewisse dieser Begriffe Selbstbezeichnungen und andere Fremdbezeichnungen sind.

rechtsextrem

Rechtsextremismus kann als Sammelbegriff für alle Kräfte, politischen Parteien und Gruppierungen, Theorien und Aktionen am äussersten rechten Rand der Gesellschaft verstanden werden.

Rechtsextremismus ist kein geschlossenes Theoriegebilde, sondern ein Komplex verschiedenster Ideen, Einstellungen, Verhaltensweisen, Handlungen, sozialer Prozesse, die weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Rechtsextremismus ist keine in sich geschlossene Ideologie. Jedoch zeigen sich stets wiederkehrende Denkmuster: Nationalismus, Rassismus, Geschichtsrevisionismus, das Streben nach einem nach innen und aussen, starken autoritären Staat und einer neuen hierarchischen sozialen Ordnung.

Kritik: Der Begriff Rechtsextremismus basiert auf der Hufeisentheorie und suggeriert, es würde jenseits der linken und rechten Extreme eine politische Mitte geben, die von dem Phänomen Rechtsextremismus nicht berührt würde.

rechtsradikal

Rechtsradikalismus wird vielfach als Grauzone zwischen Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus bezeichnet.

Kritik: Der Begriff radikal leitet sich vom lateinischen Wort für Wurzel (radix) ab und bezeichnet Ansätze, die darauf abzielen, gesellschaftliche Probleme an deren Ursprung zu behandeln. Offensichtlich entsprechen rechte Ideologien diesem Anspruch nicht, da sie alles andere als die Probleme an den Wurzeln anzugehen versuchen.

faschistisch

Faschismus ist eine politische Ideologie, die durch populistischen Ultranationalismus und die Notwendigkeit einer nationalen Wiedergeburt gekennzeichnet ist. Er strebt totale gesellschaftliche Kontrolle an und baut auf rassistische sowie diskriminierende Werte, um eine homogene Gesellschaft zu schaffen. Ein zentrales Merkmal ist das Führerprinzip, bei dem eine charismatische Führerfigur die Bewegung leitet. (Griffin, R., 2020, Faschismus : Eine einführung in die vergleichende faschismusforschung. Ibidem Verlag.)

Kritik: Der Begriff «Faschismus» fasst verschiedene autoritäre Bewegungen zusammen und verwischt wichtige historische Unterschiede. Zudem vernachlässigt er ökonomische und klassenbasierte Analysen, die für das Verständnis der unterstützenden Machtstrukturen notwendig sind.

rechts-
konservatismus

Rechtskonservativismus bezeichnet politische Einstellungen, die rechts von christlich-konservativen Positionen angesiedelt sind. Diese Haltung wird oft von Akteur*innen genutzt, um sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen und dennoch rechte, konservative Werte zu vertreten. In der Politikwissenschaft wird dieser Begriff oft mit nationalkonservativen Positionen und der Neuen Rechten in Verbindung gebracht.

Kritik: Der Begriff «rechtskonservativ» macht extrem rechte Positionen salonfähig, indem er sie in einem konservativen Licht erscheinen lässt und eine klare ideologische Trennlinie zum Rechtsextremismus verwischt.

indentitäre

Die Identitäre Bewegung ist eine politische rechte Strömung, die Ende 2012 in Deutschland an Bedeutung gewann. Sie propagiert ethnopluralistische Theorien und führt provokante Aktionen durch, um rassistische und islamfeindliche Positionen zu verbreiten. Diese Positionen werden popkulturell aufbereitet und aktionistisch verpackt. Die Bewegung hat seit 2015 in ganz Deutschland Aktivitäten durchgeführt und wird dort vom Verfassungsschutz beobachtet.

rechts-
populistisch

Rechtspopulismus ist keine Ideologie, sondern eine Form von Politik, die durch spezifische Sprache und Mobilisierung geprägt ist. Er zeichnet sich durch eine Darstellung der Welt in Gegensätzen aus: «die Eliten» gegenüber «den einfachen Bürgern» oder «wir» gegenüber «den Fremden». Rechtspopulismus ist auch ein Werkzeug von extremen Rechten, um an gesellschaftliche Debatten anzuschliessen und sie zu befeuern.