Wochenschau vom

Tod in italienischem Ausschaffungsgefängnis, Tod in bernischem Ausschaffungscamp, Widerstand von Basel bis Grossbritannien

Was ist neu?

Grossbritannien: Rassistische Riots und Gegenproteste

Um auf die andauernden faschistischen Riots in England zu reagieren, finden an vielen Orten im Land riesige antirassistische Demos statt. Die faschistische Gewalt entfesselte sich, nachdem ein junger Mann drei Mädchen erstochen hatte. Faschistische Kräfte instrumentalisierten diesen mehrfachen Feminizid, um rassistische Fake News zu verbreiten. Die antirassistischen Gegendemos sind mittlerweile massiver als die Riots.

Zu den Riots aufgerufen hat z.B. Tommy Robinson. Früher war er Neonazi, heute wirkt er über die 2009 gegründete English Defence Ligue (EDL). Robinson ist nicht nur ein Rassist, sondern auch ein Fan von Israel als jüdischer Staat. Faschist*innen tauschen derzeit ihren Antisemitismus gegen antimuslimischen Rassismus ein. Vielleicht um strategisch vereint mit israelischen Rassist*innen den Kriegs gegen Muslim*innen zu pushen. Oder aus einer ethnopluralistischen Begründung heraus: Jüd*innen seien okay, solange sie in Israel und nicht in Grossbritannien leben würden.

Verantwortung für diese Situation tragen nicht nur die offenen Rassist*innen und gewalttätigen Faschos. Auch Johnson und Sunak trugen in Wort und Tat zur aktuellen Gewalt bei. Sie ignorierten Warnungen von Expert*innen, die aufzeigten, dass ihre rassistische Politik in Strassengewalt umschlagen werde, weil sich gewaltbereite Rechte und Faschos immer besser organisieren. Statt dem vorzubeugen, trieben diese Regierungschefs die Auslagerung des Asylsystems und die Abschottung des Ärmelkanals voran.

Der neugewählte Premierminister Keir Starmer verurteilt die faschistischen Proteste bisher klar. Zudem beerdigte er – zumindest vorläufig – zwei rassistische Projekte seiner Vorgänger. Nach seiner Vereidigung stoppte er zuerst die Auslagerung von Teilen des Asylsystems nach Ruanda. Dann beschloss er, das viel kritisierte schwimmende Erstaufnahmecamp Bibby Stockholm zu schliessen.

Migrationsrouten Update

Kanaren verfehlt und bis zur Dominikanischen Republik getrieben? – Schon wieder Boote in Not vor Pylos – Die rassistischen Deals zeigen Wirkung.

Anfang vergangener Woche wurden die Leichen von 14 Personen an Bord eines treibenden Bootes vor der Nordküste der Dominikanischen Republik gefunden. Es wird vermutet, dass die Menschen aus Senegal und Mauretanien kamen. Da es sich beim Boot um ein für Westafrika typisches Holzkanu handelt, wird angenommen, dass es sich um Flüchtende handelt, die versuchten per Atlantik entlang der afrikanischen Küste zu den Kanarischen Inseln zu gelangen. Es ist anzunehmen, dass sie von Strömungen erwischt und über den ganzen Atlantik zur Dominikanischen Republik getrieben wurden, wobei alle starben.

Am vergangenen Montag nahm die türkische Küstenwache 23 Personen auf ihrem Boot auf, die von den griechischen Behörden illegal in türkische Gewässer zurückgepusht wurden. So wie vergangenen Monat, als sie 18 weitere Personen aufnahmen, nachdem diese gepushbackt wurden und ihr Boot mit 27 Menschen an Bord sank.​​​​​​​ Ebenfalls konnten 36 Personen, deren Schlauchbootmotor in der Nähe der Küste des Izmirer Bezirks Dikili ausgefallen war, nach dem Hilferuf der türkischen Küstenwache gerettet werden. Auch bargen die türkischen Behörden, ebenfalls vergangenen Monat, die Leichen von sieben Personen aus der Ägäis.

Vor Pylos geriet letzte Woche wie vergangenen Jahres erneut ein Boot mit 77 Passagier*innen in Not. Diesmal wurden die Menschen jedoch nicht von den griechischen Behörden gepushbackt, sondern von einem Frachter entdeckt und von einem Kreuzfahrtschiff aufgenommen. Dieses brachte sie in Absprache mit den griechischen Behörden nach Griechenland.

Ebenfalls gab es diverse Versuche von Menschen aus Bangladesch, Ägypten und Syrien, mit Booten über das Mittelmmeer Italien zu erreichen. Dabei wurden einige von den tunesischen, libyschen oder italienischen Behörden abgefangen oder gerettet, andere von NGO’s aufgenommen, die neuerdings wegen den italienischen Behörden mehrere Tage entfernte italienische Häfen anfahren müssen, was die Rettungsarbeit enorm behindert. Wieder sind es zu Viele, die ertranken oder noch vermisst werden. Weiter wurde eine rückgehende Zahl von Ankünften rassifizierter Migrant*innen in Italien registriert. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr Parteikollege Tommaso Foti sagten gegenüber ANSA, Melonis Regierung ernte gerade „die Früchte ihrer Arbeit im Kampf gegen illegale Migration“. Kurz gesagt: Die rassistischen Deals und externalisierten Grenzen zeigen Wirkung.

Rest in Power Oussama Belmaan!

Ein weiterer Tod im italienischen Ausschaffungsknast Palazzo San Gervasio entfachte Widerstand.

Am 5. August gegen 15 Uhr verstarb Oussama Belmaan in seiner Zelle des CPR Palazzo San Gervasio in Potenza (IT). Um 18 Uhr wurde der Tod des 23-jährigen Marokkaners festgestellt. Um 21 Uhr brannten vier Module des Ausschaffungsknasts. Nach weiteren drei Stunden wurde der Protest der Insassen niedergeschlagen und die Feuer gelöscht.

Wenige Tage zuvor wurde Oussama ins Krankenhaus eingeliefert. Er schluckte Glasscherben, um sich das Leben zu nehmen. Im Ausschaffungsknast war nur eine Krankenschwester für die 104 Insassen im Einsatz. Von einem Arzt*einer Ärztin, welche*r ihm sofortige Hilfe hätte leisten können, fehlte jede Spur. Nach der Rückkehr ins CPR folgte keine Nachuntersuchung. Auch nachdem Oussama klar Unwohlsein äusserte, blieb eine angemessene Betreuung aus.

Gegen 26 Personen der früheren Leitung des CPR in Potenza, darunter Ärzte, Manager, Anwälte und Polizeibeamte, laufen Untersuchungen. Ihnen wird Misshandlung, Korruption und Betrug bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorgeworfen. Die Leitung wurde ersetzt, doch die Todespolitik bleibt gleich.

Ein Zellengenosse von Oussama berichtete dem Koordinator der Beobachtungsstelle für Migrant*innen in der Region Basilikata, Gervasio Ungolo, dass Oussama von der Polizei geschlagen wurde und ein «Loch im Kopf» erlitt. Der zuständige Staatsanwalt von Potenza, Francesco Curcio, reagierte und stritt die Vorwürfe der ausgeübten Schläge ab. Zugleich ordnete er eine Autopsie zur Untersuchung der Todesursache an.

Weiter berichtet Oussamas Zellengenosse wie folgt über die (Über-)Lebensbedingungen im Ausschaffungsknast:
Das Essen ist ungeniessbar, man geht nur nach Ermessen des „guten“ Polizisten an die frische Luft, unerträgliche hygienische Bedingungen, ständige Misshandlungen. Wenn man sich aus Verzweiflung „selbst schneidet“, kommt die Krankenschwester und stopft einen mit Medikamenten voll, damit man schläft. „Ich habe mich geschnitten, sie haben mich verprügelt und ins Krankenhaus gebracht“.

Zuletzt wurden auf Anordnung des Polizeipräsidenten von Potenza 14 Insassen des CPR Palazzo San Gervasio freigelassen. Als Begründung wurde die verringerte Kapazität des CPR nach dem Brand vom 5. August genannt. Dabei handelt es sich nicht um irgendwelche 14 Insassen, sondern genau diejenigen, welche als Zeugen für den Tod von Oussama Belmaan hätten vorgeladen werden können.

Was schreiben andere?

Tesfaye ist im Ausschaffungscamp Gampelen gestorben

Tesfaye starb in der Nacht auf den 3. August. Jahrelang litt er unter den zermürbenden Bedingungen des bernischen Nothilferegimes. Jahrelang widersetzte er sich der Ausschaffung nach Äthiopien. Er kam in die Schweiz, um sich ein Leben aufzubauen. Viel zu früh, im Alter von 40 Jahren, ist er von uns gegangen.

Ein Artikel vom Migrant Solidarity Network

Wir sind traurig und wütend

Im Ausschaffungscamp Gampelen starb vor Kurzem bereits Nesurasa. Nun hat es Tesfaye getroffen. Er war erst 40 Jahre alt. Gestern haben Familienangehörige, Mitbewohner*innen und Freund*innen zusammen Abschied genommen. Wir versammelten uns vor dem Camp, wo sich Tesfaye seit Jahren aufhalten musste. Das Nothilferegime gehört abgeschafft.

Das Asylsystem der Schweiz tötet

Vom Camp bis zu Bahnhof dauert es zu Fuss fast eine halbe Stunde. Um die Nothilfe von 10 Franken pro Tag zu erhalten, musste Tesfaye jede Nacht im Camp übernachten und tagsüber eine Präsenzliste unterzeichnen. Die freiheitsbeschränkende Anwesenheitspflicht im Camp und die Lebensbedinungungen der Nothilfe isolieren und machen krank. Für Tesfaye endeten sie tödlich. Der Kanton ist mitverantwortlich. Statt das Leben von Tesfaye wirksam zu schützen, nahm der Kanton seinen Tod in Kauf.

Wo gab es Widerstand?

Demonstration gegen fossile Zerstörung und für Bewegungsfreiheit für alle

Am Donnerstag, 8. August, fand in Basel eine Demonstration gegen fossile Zerstörung und für Bewegungsfreiheit für alle. Der Protest schliesst an eine Woche voller Workshops, Diskussionen und Aktionen an, welche die Verbindung zwischen der Klimakrise, Krieg und Migration aufzeigen sollten. 

Regierung, Parlament und Konzerne befeuern die Klimakrise durch den Bau fossiler Infrastruktur, machen ganze Gebiete unbewohnbar und rüsten die Grenzen und die Festung Europa auf. In der Medienmitteilung schreibt der Klimastreik: „Der Bund treibt durch die Missachtung des EGMR-Klimaurteils oder den Autobahn-Ausbau die Klimakrise aktiv voran. Durch die damit verbundenen Dürren, Überschwemmungen und Brände verlieren immer mehr Menschen ihre Lebensgrundlage und werden zur Flucht gezwungen. Gleichzeitig treibt die Schweiz die Aufrüstung der Grenzen aktiv voran: Bis 2027 etwa will sie 300 Millionen in die Aufrüstung der Grenzkontrollen investieren. Die Sicherheit, die wir brauchen, sind nicht militarisierte Grenzen, sondern ein lebenswerter Planet für alle.“

Was steht an?

No Borders No Nations in Bern

Am 23. und 24. August findet in Bern das Festival No Borders No Nations statt. Unter anderem mit folgenden Veranstaltungen: 

Vortrag zu Nation, Nationalismus und ihren Mythen​​​​​​​

23.08 | 18:30 Uhr | Tojo

Die Veranstaltung bietet eine Einführung in die Konzepte von Nation und Nationalismus. Die historische Rückblende führt uns zu unterschiedlichen Weltregionen und durch Revolutionen und Kriege, die im Namen von Nationen ausgefochten wurden. In einem zweiten Teil schauen wir uns die Nation Schweiz, ihre Mythen und den daraus entstandenen Nationalismus an.​​​​​​​

Lesung des Buches “Unter Nazis” 

22.08 | 19:30 Uhr | Tojo

Lesung des Buches “Unter Nazis” mit anschliessendem Nachgespräch. Lesen wird der Autor Jakob Springfeld, der Zwickauer Klima- und Antifaaktivist hat gemeinsam mit dem Journalisten Issio Ehrich ein Buch über die harte Realität junger Antifaschist*innen in ostdeutschen Städten geschrieben.

Vortrag: Gerechtigkeit jenseits von Justitz, Polizei & Gefängnis

24.08 | 14:30 Uhr | Tojo Warum reden wir in unseren Zusammenhängen eigentlich so viel davon, dass wir die Polizei ablehnen und sind aber trotzdem überfordert damit, unsere Probleme selbstständig zu klären?

Wir halten es für unabdingbar, unsere theoretische Ablehnung von Polizei und Unterdrückung nicht nur als Stickermotive zu verwenden. Wir wollen eine Praxis entwickeln, die Alternativen sucht und erarbeitet. Wir wollen einen Umgang mit Gewalt in unseren Zusammenhängen finden, der nicht auf der Logik von Strafe und Gefängnis beruht.

Soli-Essen gegen Grenzen

15.08. | 18:00 Uhr | Wylerfeldstrasse 44 Bern

Es werden Spenden für die Seenotrettung gesammelt.

Anmeldung an schweiz@seebruecke.org. Auch spontane Gäste sind willkommen!